Dr. Gerhard Bachleitner
Oliver Estavillo mit einer neuen Kammer des Schreckens

Oliver Estavillos neue Ausstellung in der Galerie v. Maltzahn greift mir ihrem Titel Ego-Shooter ein aktuelles Geschehen und eine ungute gesellschaftliche Tendenz auf. Das gleichnamige, großformatige Bild zeigt zwar noch keine Toten und noch kein Blut, aber jeder schießt auf jeden, und das mitten auf dem Gärtnerplatz. Sogar zwei katholische Putti beteiligen sich als Bogenschützen am Massaker. Gleichwohl ist das Bild kein Schnell- schuß nach einer Zeitungsmeldung, denn der Maler beschäftigt sich schon lange mit dem Motiv des Massen- mordes. Von 2002 datiert Amok, wo die Opfer allerdings in comicartiger Körperlosigkeit (und Harmlosigkeit) daliegen, und weitere Mordserien finden sich im Serienkillermobile von 2000 und beim Serienmörder von 1999. Diese Brutalität kann in einer Welt nicht überraschen, in der bereits die Blumen kampfbereit angetroffen werden, Gefährliche Blumen, 1998.

Estavillo arbeitet auch sonst mit und in Motivverwandtschaften. Gier und Undank der Testamentseröffnung finden wir schon in den Erbschleichern und in der Selbstgerechtigkeit der Witwen vorgebildet. Der Tod als Gerippe oder Sensenmann ist ein häufiger Gast in Estavillos Szenerien, erhält aber in der Zerschlagung des Sensenmanns erstmals einen großen Soloauftritt. Wie in einer spätmittelalterlichen Geißelung dringen die Umstehenden auf den Protagonisten ein, ohne ihn freilich zerschlagen zu können. Dieses Gemälde ist noch das Tröstlichste in der neuen Auswahl, die des Malers tief pessimistische Weltsicht und seinen entlarvenden Blick auf die Menschen veranschaulicht. Der Betrachter ist versucht, sich zu fragen, wie man mit solchen Höllen im Kopf zu überleben vermöchte und aus diesem Pandämonium des Grauens jemals wieder in den Alltag zurück- fände. Man kann sich auch nicht lange damit beruhigen, die grausame Folterwelt des Mittelalterbildes für eine Aktualisierung von H. Bosch- oder P. Bruegel (Der Triumph des Todes) zu erklären und auf ein halbes Jahrtau- send Abstand zu unserer Gegenwart zu verweisen, denn im Hintergrund fliegt ein Flugzeug vorbei und sagt uns unmißverständlich, daß auch heute noch Mittelalter herrscht, in anderen Ländern oder Erdteilen, aber nicht minder menschenverachtend. Auch die wunderbare Neufassung von G. Grosz' Stützen der Gesellschaft, das Veteranentreffen, das auch Alte Kameraden heißen könnte, begnügt sich nicht damit, Krieger von der Ritterzeit bis zum letzten Weltkrieg zu versammeln, also den Krieg für überwundene Geschichte zu halten, sondern zeigt auch einen amerikanischen GI aus dem Golfkrieg. Für den Hitler in diesem Bild hat der Maler in Sein Kampf bereits 1983 geübt.

In anderer Weise aktualisiert er die antike Mythologie, etwa in der Minotaurensauna. Die Chimären, darunter ein quasi barberinischer Faun, der die hehre Renaissance diskreditiert, bevölkern eine schwule Sauna und las- sen diese Subkultur als nicht sehr einladenden oder auch nur menschlichen Ort erscheinen. Der heutige einsei- tige Körperkult wird im Philosophentraining mit wulstartig wuchernden Muskeln und Hasenköpfen parodiert, so wie Estavillo bereits 1998 in Homo Waschbrettiensis die einschlägige Ideologie zum Exzeß geführt hat. Diese Verfremdungen erwachsen mühelos aus einem magisch-mythischen Menschenbild und Naturverständnis, das Flora und Fauna nach Bedarf mit Humanoidem verbindet. Estavillo macht stets von neuem auf das Tieri- sche im Menschen aufmerksam, stellt sich in Ich - Könige im Lichtkleid selbstbewußt als einziger Mensch unter gekrönten Tierhäuptern dar. Am Stammtisch sitzen die sprichwörtlichen dümmsten Kälber, die ihre Schlächter selber suchen, leibhaftig tierisch da. In der Todestanzschule sehen wir einen abgehäuteten Men- schen mit Tierkopf, und im Triumph der Säufergöttin ist einer prallen Frauengestalt ein riesiger Papageienkopf mit Flügeln aufgesetzt. In der Vorstandsetage von 2004 tagen Insekten-, Reptilien- und Fischköpfe mit Anzug und Krawatte. Kunsthistorisch setzt Estavillo die metamorphotische Arbeit des Surrealismus fort (etwa Die Einkleidung der Braut von Max Ernst), der seinerzeit auf die Erkenntnisse der Psychoanalyse reagierte. Heute veranschaulicht der Maler damit auch jene Befunde der neueren Hirnforschung, die immer mehr Rationalitäts- und Bewußtsseinsanteile und -inhalte als triebgesteuert-animalisch entlarven. Mit den Verhausschweinten spielt er auf Konrad Lorenz an, der seinerzeit die Verhausschweinung des Menschen als Metapher für einige fatale Aspekte seiner Selbstdomestikation geprägt hat.

Mit dem Christentum hat der Maler eine sehr ernsthafte Auseinandersetzung geführt, die nichts mehr mit dem bisherigen, oberflächlichen Eindruck einer blasphemischen Haltung zu tun hat. Die mit dem Oktoberfest ver- höhnte Kreuzigung in Prost, 1989, mag so verstanden worden sein, obwohl sie eigentlich nur Monty Pythons bekanntes Lied Always look on the bright side of life visualisiert. Der Märtyrer Sebastian, 2003, hält die Mitte zwischen Karikatur - quasi gespickter Rehrücken - und übermäßigem Leiden. Man könnte weiters auch schon die heillose und gottverlassene Welt, deren Schrecken Estavillo so schonungslos schildert, als Überzeugung von der Abwesenheit Gottes oder Anklage gegen ihn verstehen, und die anatomisch-biologisch vielfach entartete Schöpfung spricht auch nicht für den Schöpfer. Aber Estavillo wagt es nun erstmals, Christus nicht nur figür- lich, sondern auch traditionell auratisch als Lichtgestalt zu malen, und zudem noch in dem kunstgeschichtlich schwer befrachteten Sujet des Letzten Abendmahls. An Leonardos Gruppierung kommt man nicht vorbei, doch Estavillo legt sein Augenmerk auf einen anderen Aspekt. Für ihn ist es das erste Abendmahl und wird demzu- folge den ersten Menschen, d.h. stumpfsinnigen Neandertalern gespendet. Das hieße nichts anderes, als daß der Mensch von Anfang an von göttlichem Beistand begleitet wird und wurde. Es heißt aber auch, daß bei dieser Gelegenheit nicht die Kirche - als Institution - inauguriert wird; vielmehr wird - wie im Evangelium selbst ja auch steht - den Unwissenden das Evangelium verkündet, ohne Apostel. Vor dem Hintergrund des heurigen Darwin-Jahres betrachtet, äußert der Maler hier eine tiefe Skepsis gegenüber der Evolutionstheorie mit ihrer Hoffnung (oder Unterstellung) einer natürlichen Perfektibilität des Menschen, betont statt dessen eine tiefe, unüberbrückbare ontologische Kluft, die eigentlich nur durch Gnade überwunden werden kann.

Diesem überraschend zuversichtlichen Bild muß freilich der Höllensturz der Vaterverdammnis entgegengestellt werden, und dieser Kontrast geht weiter als derjenige bei Michelangelo zwischen der Schöpfung und dem Jüngsten Gericht. Nicht nur ist Estavillos Hölle drastischer, auch wenn er viel "altmodisches" reptilisches Ge- tier auf die Leinwand bringt. Es wird dort heiß gesotten und qualvoll gemordet. An dem Gepfählten ohne Kopf kann nicht beruhigen, daß es sich (nunmehr) um einen Leichnam handelt. Der Betrachter muß sich unweiger- lich vorstellen - was die zeitenthobene Malerei nicht abbilden kann -, wie der Pfahl vorher durch den Leib getrieben wurde. Was auf den Protagonisten wartet, läßt Estavillo nicht erkennen, doch seine Schuld können wir erahnen. Sie ist ihm, wie einst dem Sträfling in Kafkas Strafkolonie, in die Haut geritzt: I supposed You be a man. Wir dürfen diesen Satz in diesem Bild, das bei der Vernissage der Laudator Hellmuth als Frucht jahre- langer und verzehrender persönlicher Auseinandersetzung gewürdigt hat, als einstiges Verdammungsurteil eines Vaters gegenüber seinem Sohn verstehen, und so, wie er dessen Leben dadurch zweifellos stranguliert hat, wird er nun seinerseits von einer mächtigen Schlange stranguliert, die nur aus Windungen und Krallen zu bestehen scheint und in ihrer Kopflosigkeit buchstäblich blindwütig zu Werke geht.

Oliver Estavillo hat seit seinen ersten Arbeiten in den 80er Jahren einen langen Weg zurückgelegt und nun eine beeindruckende Verdichtung erreicht. Die Tradition steht als Form- und Motivfundus ungehindert zur Verfügung und wird virtuos aktualisiert. Von der hemmungslos schreienden Farbigkeit, die manche ikonogra- phischen Attitüden (oder Plattitüden) der Gegenwart aufgreift, wird man sich keinen Augenblick lang ab- schrecken oder ins Bockshorn jagen lassen. Seit den Tagen des Expressionismus ist Farbe Spielmaterial, und Estavillos entsetzliche Welt wäre ohne diese aggressive Optik vielleicht noch weniger erträglich. Die Farbe überlebt, auch wenn alle Akteure schon tot sind. Die Intensität des Leidens hat in Estavillos Werk nicht nach- gelassen, jedoch Eingang in eine meisterhaft beherrschte Form gefunden. “

Dr. Gerhard Bachleitner